Regel des hl. Albertus von Jerusalem für die Einsiedler auf dem Berg Karmel (1206)

1. Albertus, durch Gottes Gnade berufen zum Patriarchen der Kirche zu Jerusalem, an die in Christus geliebten Söhne Brocardus und die anderen Einsiedler, die unter seinem Gehorsam bei der Quelle im Karmelgebirge leben: Heil im Herrn und den Segen des Heiligen Geistes!

2. Vielmals und auf vielerlei Weise haben die heiligen Väter gelehrt, wie jeder, welchem Ordo er auch angehört oder welche Weise gottgeweihten Lebens er auch erwählt hat, in Hörigkeit gegenüber Jesus Christus leben und ihm treu aus einem reinen Herzen und einem guten Gewissen dienen soll.

3. Aber weil ich uns darum bittet, dass wir euch eine eurem Vorhaben gemäße Lebens-form geben, an die ihr euch fortan halten müsst,

4. ordnen wir erstens dies an, dass ihr einen von euch als Prior habt, der mit der einmütigen Zustimmung aller oder des größeren und verständigeren Teils zu dieser Aufgabe gewählt wird, dem jeder der andern Gehorsam verspricht und das Versprechen wirklich zu halten sich müht;

5. zudem soll jeder einzelne von euch, je nach der Lage des Ortes, den zu bewohnen ihr euch vorgenommen habt, eine eigene, abgetrennte Zelle haben, so, wie auf Anordnung des Priors selbst und mit Zustimmung der anderen Brüder oder des verständigeren Teils derselben diese Zelle jedem einzelnen zugewiesen wird;

6. und dass es keinem der Brüder gestattet ist, außer mit Erlaubnis des Priors, der das in diesem Augenblick sein wird, den ihm zugewiesenen Ort zu wechseln oder gegen einen anderen zu tauschen.

7. Die Zelle des Priors sei beim Eingang des Ortes, damit er als erster denen, die zu diesem Ort kommen, begegne und damit dann alles, was getan werden soll, nach seinem Gut-dünken und auf seine Anordnung hin geschehe.

8. Jeder soll für sich in seiner Zelle oder in deren Nähe bleiben, Tag und Nacht über die Weisung des Herrn nachsinnend und in Gebeten wachend, es sei denn, dass er durch andere, begründete Verrichtungen in Anspruch genommen wird.

9. Diejenigen, die gebildet sind und die Psalmen lesen können, sollen zu den einzelnen Gebetszeiten die Psalmen rezitieren, die nach den Anordnungen der heiligen Väter und gemäß der gutgeheißenen Gewohnheit der Kirche für die einzelnen Gebetszeiten angegeben sind. Diejenigen aber, die Lesen nicht gelernt haben, sprechen fünfundzwanzig-mal das Vaterunser in den Nachtwachen, außer an Sonn- und Feiertagen. Wir verordnen, dass in diesen Nachtwachen die genannte Zahl verdoppelt wird, so dass das Vater-unser fünfzigmal gesprochen wird. Dasselbe Gebet werde beim Morgenlob jedoch siebenmal gesprochen. Auch zu den anderen Tagzeiten soll ebenfalls siebenmal hinter-einander dasselbe Gebet gesprochen werden, ausgenommen bei der Vesper, in der ihr es fünfzehnmal sprechen sollt.

10. Keiner der Brüder soll sagen, dass etwas sein Eigentum sei, sondern alles sei euch gemeinsam, und einem jeden soll von dem, was der Herr euch gegeben haben wird, durch die Hand des Priors, das heißt durch jemanden, der von ihm für diese Aufgabe bestellt ist, zugeteilt werden, was jeder braucht, unter Berücksichtigung des Alters und des not-wendigen Bedarfs jedes einzelnen. So jedoch, dass, wie gesagt, sie einzeln in den zugewiesenen Zellen bleiben und einzeln von dem leben, was jedem zugeteilt wird.

11. Ein Gebetsraum werde, soweit es einigermaßen füglich geschehen kann, in der Mitte der Zellen gebaut, wo ihr in der Frühe jeden Tag zusammenkommen sollt, um die Eucharistie zu feiern, wo dies füglich wird geschehen können.

12. Behandelt auch an Sonntagen oder an anderen Tagen, falls es nötig sein sollte, die Erhaltung des Ordos und das Heil der Seelen; dort sollen auch die Übertreibungen und die Unzulänglichkeiten der Brüder, wenn solche bei jemandem wahrgenommen werden, zurechtgerückt werden, mit der Liebe als Mitte.

13. Beobachtet das Fasten alle Tage, mit Ausnahme der Sonntage, vom Fest Kreuzerhöhung bis zum Tag der Auferstehung des Herrn, es sei denn, dass Krankheit oder körperliche Schwäche oder ein anderer rechtmäßiger Grund es ratsam machen, dass das Fasten aufgehoben wird, denn Not kennt kein Gebot.

14. Enthaltet euch stets des Essens von Fleisch, es sei denn, es muss als Heilmittel bei Krankheit oder zu viel Schwäche genommen werden.

15. Weil aber das Leben des Menschen auf Erden eine Prüfung ist und alle, die ein frommes Leben führen wollen in Christus, Verfolgung leiden, euer Widersacher, der Teufel, zudem wie ein brüllender Löwe umhergeht, suchend, wen er verschlingen könne, sollt ihr mit aller Sorgfalt eifrig bestrebt sein, die Rüstung Gottes anzulegen, damit ihr den listigen Anschlägen des Feindes widerstehen könnt. Umgürtet werden müssen die Lenden mit dem Gürtel der Keuschheit. Geschützt werden muss die Brust mit heiligen Erwägungen, denn es steht geschrieben: „Heilige Erwägung wird dich behüten.“ Angelegt werden muss der Panzer der Gerechtigkeit, so dass du den Herrn deinen Gott mit ganzem Herzen und ganzer Seele und ganzer Kraft liebst und deinen Nächsten wie dich selbst. Genommen werden muss bei allem der Schild des Vertrauens, mit dem ihr alle feurigen Pfeile des Elenden löschen könnt, denn ohne Vertrauen ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Und das ist der Sieg, euer Vertrauen. Der Helm auch des Heils muss auf den Kopf gesetzt werden, damit ihr das Heil erhofft von dem einzigen Heiland, der sein Volk heilt von seinen Vergehen. Das Schwert nun des Geistes, das ist das Wort Gottes, wohne reichlich in eurem Mund und in eurem Herzen. Und was auch immer von euch getan werden muss, es geschehe im Wort des Herrn.

16. Verrichtet werden muss von euch etwas Arbeit, so dass der Teufel euch immer beschäftigt findet und nicht wegen eurer Untätigkeit einen Zugang finden kann, in eure Seele einzudringen. Ihr habt diesbezüglich die Unterweisung und zugleich das Beispiel des heiligen Apostels Paulus, durch dessen Mund Christus sprach und der eingesetzt und bestellt ist von Gott zum Verkünder und Lehrer der Völker in Vertrauen und Wahrheit. Wenn ihr ihm folgt, könnt ihr nicht irregehen. „Mit Mühe und Beschwerde“, sagte er, „haben wir Tag und Nacht bei euch gearbeitet, um niemandem unter euch lästig zu sein. Nicht als hätten wir darauf kein Anrecht gehabt, sondern um euch uns selbst als Vorbild hinzustellen, damit ihr uns nachahmt. Denn als wir bei euch waren, haben wir euch dies aufgetragen: wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Wir haben nämlich gehört, dass einige von euch unruhig leben und nicht arbeiten. Solchen aber entbieten wir und beschwören sie im Herrn Jesus Christus, dass sie in der Stille arbeiten und ihr eigenes Brot essen.“

17. Der Apostel aber empfiehlt Stille, wenn er vorschreibt, dass man in der Stille arbeiten soll. Und wie der Prophet bezeugt: „Pflege der Gerechtigkeit ist Stille.“ Und ferner: „In Stille und Hoffnung wird eure Stärke sein!“ Deshalb bestimmen wir, dass ihr von der Vesper bis zur Terz des folgenden Tages die Stille wahrt, außer wenn manchmal Notwendigkeit oder ein guter Grund oder die Erlaubnis des Priors die Stille unterbrechen. Die andere Zeit aber, auch wenn dann die Stille nicht so sehr gewahrt zu werden braucht, hüte man sich um so sorgfältiger vor der Geschwätzigkeit, denn wie geschrieben steht und nicht minder die Erfahrung lehrt: „Geschwätzigkeit geht nicht ohne Sünde ab“ und „Wer unbedachtsam im Reden ist, dem ergeht es übel“. Ebenso: „Wer viele Worte macht, verletzt seine Seele.“ Und der Herr im Evangelium: „Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie Rechenschaft ablegen müssen am Tag des Gerichts.“ „Deshalb mache jeder eine Waage für seine Worte und rechte Zügel für seinen Mund, damit er nicht unversehens strauchelt und zu Fall kommt in seinem Reden und sein Fall unheilbar sei bis zum Tode“, mit dem Propheten „auf seine Wege achtend, damit er nicht sündige mit der Zunge“ und die Stille, in der die Pflege der Gerechtigkeit besteht, sorgfältig und behutsam zu wahren sich müht.

18. Du aber, Bruder Brocardus, und jeder, der nach dir zum Prior eingesetzt wird, begreift stets und befolgt wirklich das, was der Herr im Evangelium sagt: „Wer immer unter euch groß werden will, der sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht.“ Auch ihr übrigen Brüder, ehrt euren Prior demütig, indem ihr eher an Christus denkt, der ihn über euch gesetzt hat, als an ihn selbst, und der zu den Vorstehern der Kirche sagt: „Wer euch hört, der hört mich, wer euch verachtet, verachtet mich“, damit ihr nicht ins Gericht kommt wegen Missachtung, sondern wir uns durch Gehorsam den Lohn des ewigen Lebens verdienen.

19. Dies haben wir euch kurz geschrieben und damit eine Regel für euer Verhalten festgesetzt, nach der ihr leben müsst. Wenn aber jemand mehr ausgegeben haben wird, wird es ihm Gott selber, wenn er wiederkommt, erstatten. Er gebrauche jedoch die Unterscheidung, die die Richtschnur der Tugenden ist.