Die Spiritualität des Karmel

Die Regel des Karmel stellt für die Karmeliten das spirituelle Lebensmodell dar, um sich immer tiefer in der Nachfolge Christi zu verwurzeln. Vorbild für das Miteinander der eremitischen Gemeinschaft ist das Leben der christlichen Urgemeinde von Jerusalem, wie sie in Apg 4 aufscheint. Wenngleich der Schwerpunkt auf der Zurückgezogenheit, dem Gebet, der persönlichen Beschäftigung mit dem Wort Gottes gelegt wird, so ist nicht das isolierte Individuum im Blick, sondern eine Gemeinschaft von Eremiten nach dem Vorbild der ersten Christengemeinde, deren Einheit durch die tägliche Feier der Eucharistie gebildet wird und in der Gütergemeinschaft zum Ausdruck kommt.

In Anlehnung an die Spiritualität der Wüstenväter, die das einsame Leben in der Gegenwart Gottes auch als Prüfung und Kampf gegen das Böse erfahren haben, sollen sich die Karmeliten in Anlehnung an das 5. Kapitel des Epheserbriefes mit der Waffenrüstung Gottes bekleiden.

Die Spiritualität des Karmel ist nüchtern und rein christozentrisch. Es geht um ein radikales Leben in der Nachfolge Christi im Sinne einer alles umgreifenden Lebensgemeinschaft mit ihm, die zu einer Umformung in Christus führen soll.

Als Inbegriff karmelitanischer Spiritualität und geistlicher Identität gilt das „Buch der ersten Mönche“ vom katalonischen Provinzial Felipe Ribot (+1391). In ihm geht darum, aktiv nach Gott zu suchen, in der Loslösung von allen irdischen Bindungen ein reines Herz zu erlangen und in diesem Leben unverdientermaßen durch Gottes Gnade in der Freude seiner Gegenwart leben zu dürfen.

Prägende Gestalten der Spiritualität des Karmel sind der Prophet Elia und die Gottesmutter Maria.

Der Prophet Elia

Der Prophet Elia

Elija auf dem Karmel

Der Prophet Elia, der um 874-853 v. Chr. in Israel auftrat und für den Alleinanspruch JHWHs auf Israel eintrat, wird aufgrund des Gottesurteils auf dem Berg Karmel, durch das er das Volk zum Glauben an JHWH zurückführte, verehrt. Er solidarisierte sich mit den Armen und Verbannten und trat für die Opfer von Gewalt und Unterdrückung ein. Im Alten Testament in 1 Kön 17-19 erscheint er nicht nur als der machtvolle, für Gott eifernde Prophet, sondern auch als Gottsucher, der sich in die Stille und Einsamkeit zurückzog, um Gott im „verschwebenden Schweigen“ (Übersetzung nach Buber) zu begegnen.

Als Haupt einer Prophetengemeinschaft in 2 Kön 2,1-18 erscheint er als deren Vater und Führungspersönlichkeit.
Schon die patristischen Zeugnisse über die Einsiedler sehen im heiligen Elia aufgrund seiner charismatischen und prophetischen Persönlichkeit einen Begründer und ein Vorbild eremitischer Lebensweise.
Die ersten Karmeliten griffen die charismatisch spirituelle Tradition auf dem Berg Karmel auf und führten sie weiter, indem sie die Sehnsucht nach Gott mit einer kontemplativen Lebensweise verbanden. Der Prophet wird zur geistlichen Gründergestalt der Karmeliten, weil man in ihm das Lebensideal, wie es in der Karmelregel zum Ausdruck kommt, verwirklicht sieht. Auf dem Generalkapitel 1281 in London heißt es in der rubrica prima, dass „seit der Zeit des Elia ohne jeden Zweifel … heilige Väter sowohl des Alten als auch des Neuen Testamentes … dort bei der Eliasquelle … ununterbrochen und erfolgreich ein erbauliches Leben geführt haben.“

Der Ausspruch des Propheten „Gott lebt, und ich stehe vor seinem Angesicht“ (1 Kön 17,1) ist das Leitmotiv des Ordens. Das Hochfest des heiligen Elia, der als geistlicher Vater des Karmel verehrt wird, wird am 20. Juli gefeiert.

Die Gottesmutter Maria

Gottesmutter Maria in Orantehaltung

Maria in Orante

Aus dem Bericht eines französischen Pilgers aus dem Jahre 1229 lässt sich entnehmen, dass das erste Oratorium der Einsiedlerbrüder auf dem Berg Karmel der Gottesmutter Maria geweiht war. „An der Seite eben dieses Berges liegt ein sehr schöner und lieblicher Ort, wo die lateinischen Einsiedler wohnen, … und wo es eine kleine Kirche Unserer Lieben Frau gibt.“ Die offiziellen uns heute überlieferten Dokumente zeigen, dass sich die Einsiedler anfangs „Brüder Unserer Lieben Frau vom Berg Karmel“ nannten. Darin wird deutlich, dass sie Maria als Schwester auf ihrem geistlichen Weg in der Nachfolge Christi betrachtet haben.

1287 hält das Generalkapitel von Montpellier fest, dass der Orden zum Dienst und der Ehre Mariens gegründet wurde. 1294 erklären die Konstitutionen die Gottesmutter Maria offiziell zur Patronin des Ordens. Im 14. Jahrhundert wird sie im Orden als Mutter des Karmel angerufen, und es kommt zur Einführung des liturgischen Festes „Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel“, das seitdem am 16. Juli als Hauptfest des Ordens gefeiert wird. In der Ikonographie des Ordens wird sie mit dem Skapulier dargestellt, da die Gottesmutter der Legende nach im 13. Jahrhundert dem Ordensgeneral Simon Stock das Skapulier als Symbol ihres besonderen Schutzes übergeben haben soll.

Maria ist für die Karmeliten ein Vorbild in ihrer Offenheit dem Worte und dem Wirken Gottes gegenüber. Wie Maria möchten sie das Wort Gottes im Herzen bewahren und bewegen und für Gott restlos verfügbar sein. Die Karmeliten möchten gleichsam eine andere Maria werden, „denn auch in uns muss Gott geboren werden“, wie es der sl. Titus Brandsma zum Ausdruck brachte.